Am Thema vorbei
Am Thema vorbei
Politiker genießen oft den Ruf, es mit der Wahrheit nicht immer so genau zu nehmen. Dazu gehört wohl auch in gewisser Weise, mitunter am Thema vorbeizureden und sich so die eigene Welt zurechtzulegen.
Diese Feststellung ist nicht neu: Bereits in den 1960er-Jahren wurde in Essays das „Verhältnis von Wahrheit und Politik“ thematisiert, genau wie die Frage, ob es „in der Politik stets richtig ist, die Wahrheit zu sagen.“
Das erinnert doch tatsächlich an eine Aussage eines ehemaligen Premierministers, der einst – zumindest sinngemäß – meinte, Politiker müssten es mit der Wahrheit nicht immer ganz so ernst nehmen, wenn damit dem Allgemeinwohl gedient sei.
Ein Paradebeispiel von „Am Thema vorbeireden“ lieferte unlängst die Parlamentsdebatte zur Missachtung des jüngsten Gehälterabkommens im öffentlichen Dienst, sowohl durch die vorige als auch durch die jetzige Regierung.
Wer bei der Protestkundgebung der CGFP am vergangenen 29. April auch nur ansatzweise zugehört hat, müsste doch mitbekommen haben, dass keineswegs die Einführung eines Bewertungssystems bei der Armee im Mittelpunkt der mit rund 1.000 Teilnehmern außerordentlich erfolgreichen CGFP-Protestveranstaltung stand, sondern vielmehr die Prinzipienfrage nach einem eindeutigen Vertragsbruch durch die Regierung.
Wie kann es denn sein, dass nach der CGFP-Protestkundgebung nahezu alle Fraktionen in der Abgeordnetenkammer ausschließlich von den Streitkräften gesprochen und somit die Grundproblematik kurzerhand außer Acht gelassen haben? Ein gezieltes Ablenkungs- und Täuschungsmanöver? – im Übrigen auch eine militärische Taktik, die laut Definition grundsätzlich aber nur bei Gefechtshandlungen angewandt wird.
„Schlau“ haben sich die Redner im Parlament allemal angelegt. Mit zum Teil populistisch anmutenden Aussagen wie: „In dem mit Belgien geplanten Kriegsbataillon wird nicht mit Kugelschreibern, sondern mit Waffen gekämpft“, sollte doch wahrlich der Eindruck erweckt werden, die CGFP nehme leichtfertig hin, dass Armeeangehörige ohne die dazu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in Kriegsgebiete entsendet würden oder auch nur an militärischen Übungen teilnehmen sollten.
Ganz im Ernst: Da bedarf es schon guter Nerven und einer gehörigen Portion Zurückhaltung, um bei solchen Darbietungen die Fassung zu behalten. Mit Verlaub gesagt, ist das doch reiner Schwachsinn.
In erster Linie aber haben die Wortführer mit ihren zum Teil surrealen Äußerungen nicht der CGFP, sondern der vorigen Regierung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und somit ein Eigentor geschossen. Wenn dem nämlich wirklich so sei und die Militärangehörigen genau dieses, durch Art. 32 im Militärgesetz eingeführte Bewertungssystem so dringend benötigten, ja, dann müsse sich doch zuerst die vorige Regierung an die Nase fassen und sich die Frage stellen, weshalb sie sich dessen denn nicht schon im Jahre 2022 bewusst war, weder während der Verhandlungen noch bei der Unterzeichnung des Gehälterabkommens.
Bevor der damalige Beamtenminister seine Unterschrift unter besagtes Abkommen setzte, hatte er doch die Zustimmung dafür im Ministerrat erhalten. Und dem Regierungsrat gehört auch der Verteidigungsminister an! Allein schon aus diesem Grund hätte man sich in dieser Frage mehr (politische) Zurückhaltung erwartet. Denn: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!
Zumindest zwei positive Punkte konnte die CGFP der Parlamentsdebatte vom vergangenen 2. Mai allerdings abgewinnen:
Zum einen gab es seitens des Parlaments, von den vom Volk gewählten Volksvertretern also, die uneingeschränkte Zustimmung, dass das durch Art. 32 im Militärgesetz eingeführte Bewertungssystem auf gar keinen Fall als Präzedenzfall für andere Verwaltungen, die zu einem großen Teil auch Sicherheitsaufträge erfüllen, gelten werde. Die CGFP verlangt, dass sich die Regierung nun rückhaltlos schriftlich zu dieser Zusage bekennt.
Zum anderen hat der Beamtenminister noch am selben Abend Kontakt zur CGFP aufgenommen und Terminvorschläge zur Wiederaufnahme des Sozialdialogs vorgelegt – auch das eine Hauptforderung der CGFP anlässlich der Kundgebung vom 29. April. Gleich mehrfach hatte die CGFP an jenem Abend die Abwesenheit und Handlungsunfähigkeit von Minister Wilmes angeprangert. Achselzuckendes Hinnehmen wäre für die CGFP jedenfalls keine Option gewesen.
Dass die Regierung die Gespräche mit der einzigen national repräsentativen Berufsorganisation im öffentlichen Dienst wieder aufnehmen möchte, wertet die CGFP zunächst einmal als positiv – vorausgesetzt allerdings, es kommt zu einem fairen und ehrlichen Sozialdialog. Zur Richtigstellung: Die Aussage, dass beim Militär „dieses Bewertungssystem“ bereits seit 70 Jahren angewandt werde und es sich dabei um ein komplett anderes, vom Leistungsprinzip aus dem Jahr 2015 völlig losgelöstes Benotungssystem handele, ist schlicht und ergreifend falsch! Fakt ist, dass bereits seit 2016, seit sage und schreibe acht (!) Jahren also, auch bei den Streitkräften das durch die Reformen im öffentlichen Dienst von 2015 eingeführte Bewertungssystem angewandt wird.
Gleichsam ist es höchste Zeit, dass die Regierung eine politische Kehrtwendung vollzieht, Abstand zur Armee nimmt und wieder zur Kernproblematik zurückfindet. Die CGFP tritt jedenfalls nicht für ein Ende, sondern für eine Wende im Sozialdialog ein!
Steve Heiliger,
CGFP-Generalsekretär