Ein kostbares Gut
Ein kostbares Gut
Der Sozialdialog gehört zum „Luxemburger Modell“ so sicher dazu wie das Amen in der Kirche. In den 70erJahren im Zuge der Stahlkrise ins Leben gerufen, hat sich das Tripartite-Modell immer wieder bewährt. Gerade in kritischen Momenten haben Regierung, Arbeitnehmervertreter und Arbeitgeberschaft stets gangbare Wege gefunden, um den Herausforderungen der Zeit nachhaltig zu begegnen.
Dass dabei jede Seite zunächst einmal ihre eigenen Interessen vertritt, ist doch völlig legitim. Entscheidend ist, dass am Ende der Verhandlungen ein Konsens steht, eine Kompromisslösung, die alle Verhandlungspartner tragen und vertreten können, auch wenn sie dafür mitunter Wasser in den Wein gießen müssen.
Zu dritt mag dies ja noch gelingen. Ob diese Zielsetzung allerdings auch mit einer Fülle von
Interessenvertretungen an einem und demselben Verhandlungstisch möglich sein kann, muss sich erst noch zeigen – zum Beispiel bei den bevorstehenden Diskussionen um eine eventuelle Rentenreform, bei denen die Regierung den Kreis an potenziellen Interessenten bekanntermaßen sehr weit öffnen möchte. Die CGFP jedenfalls hat da so ihre Bedenken. Denn eins ist gewiss: Je mehr Partner mit am Tisch sitzen, desto schwieriger wird es, zu einer Kompromisslösung zu finden – es sei denn, es ist von vorneherein kein Konsens erwünscht: Ein Schelm, wer dabei Böses denkt…
Dass der Sozialdialog zum Jahresanfang quasi seinen Nullpunkt erreicht hatte, dürfte mittlerweile gewusst sein. Dies bewog die CGFP dann auch dazu, Ende April eine großangelegte Protestkundgebung zu organisieren, um sich in erster Linie gegen die Missachtung des laufenden Gehälterabkommens, sowohl durch die vorige als auch die derzeitige Regierung, zu wehren. Rund 1.000 CGFP-Mitglieder machten ihrem Ärger Luft und prangerten vor allen Dingen den seit Jahresbeginn ausgebliebenen Sozialdialog an. An die Regierung erging der eindringliche Appell, sich schleunigst wieder mit der CGFP, der alleinigen national repräsentativen Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, an den Tisch zu setzen, um zu den noch offenen Fragen Lösungen zu erarbeiten.
Dass diese Protestveranstaltung ein voller Erfolg wurde, auch das ist mittlerweile bekannt. Seitdem steht die CGFP in regelmäßigem Kontakt zum Beamtenministerium, wo in konstruktiven Gesprächen für beide Seiten annehmbare Lösungen erarbeitet werden: bei der Umsetzung der Telearbeit im öffentlichen Dienst, den Folgen bei Langzeiterkrankungen für die Bediensteten, einer Anpassung des Disziplinarrechts an die heutigen Gegebenheiten, der Umsetzung der Harmonisierung der unteren Laufbahnen, ebenso wie bei der Abschaffung des Bewertungssystems im öffentlichen Dienst – um, stellvertretend für alle anderen noch offenen Punkte, nur diese Beispiele anzuführen (siehe dazu auch Seite 9).
Aufgrund dieser doch eher positiven Erfahrungen ist es für die CGFP schwer nachvollziehbar, dass der Sozialdialog in letzter Zeit mitunter wieder ins Stocken gerät.
Zu einem gesunden Sozialdialog gehört nämlich auch die Bereitschaft auf Seiten der Regierung, im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens über den Sachverhalt zu diskutieren, statt den Dialog mit
vermeintlichen Formfehlern abzuwenden.
So vor kurzem geschehen in einem sektoriellen Streitfall, wo die Regierungsdelegation die Zulässigkeit des Schlichtungsverfahrens infrage stellte, weil der betroffene Berufsstand in letzter Instanz nicht über das Streikrecht verfüge. Ein an und für sich seltsamer und auch juristisch betrachtet eher fragwürdiger Ansatz seitens einer Delegation, die eine Regierung vertritt, die sich den Sozialdialog in großen Druckbuchstaben auf die Fahne geschrieben hat. Hätte die Regierungsseite diesen Einwand unterlassen, wäre die Schlichterin im Übrigen bereit gewesen, über den Kern der Angelegenheit zu diskutieren. Es war also in erster Linie die Regierungsdelegation, die hier das Heft in der Hand hielt.
Für die CGFP-Vertreter war dies gewissermaßen ein „déjà-vu“. Noch vor den Sommerferien hatte sich die Regierungsdelegation bereits geweigert, einen Streitfall vor dem Schlichter zu diskutieren, unter dem mehr als fragwürdigen und fadenscheinigen Vorwand, die Gewerkschaftsdelegation wäre nicht rechtmäßig aufgestellt. Zu einer Mediation, der zweiten Ebene in einem Schlichtungsverfahren, konnte es nicht kommen, obschon es sehr wohl zu einer „non-conciliation“ gekommen war, formaljuristisch betrachtet aber kein „protocole de non-conciliation“ unterzeichnet worden war.
Auch in der jüngsten Sitzung des Ständigen Ausschusses für Arbeit und Beschäftigung konnte der Sozialdialog nicht fortgeführt werden, weil von Regierungsseite keine verbindliche Zusage gemacht werden konnte, dass auch künftig ausschließlich die national repräsentativen Gewerkschaften Kollektivverträge aushandeln und auch unterschreiben, so wie es sowohl die nationale Gesetzgebung als auch die OIT-Normen eindeutig vorsehen. Wie bitte schön sollen Arbeitnehmer derartige Vereinbarungen auf Augenhöhe aushandeln, wenn sie gleichzeitig in einem untergeordneten Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber stehen?
Aufgrund all dieser Erfahrungen appelliert die CGFP eindringlich an die Regierung, den Sozialdialog nicht nur zu preisen, sondern ihn auch zu leben. Wie eingangs bereits erwähnt, hat es in jüngster Vergangenheit in den Beziehungen zwischen der CGFP und dem Beamtenministerium durchaus gute Ansätze gegeben. Und auch der Finanzminister hat bei der Vorstellung der Eckdaten des Haushaltsentwurfs für 2025 der sozialen Komponente ein besonderes Augenmerk gewidmet, was auf CGFP-Seite ausdrücklich begrüßt wurde. Nun gilt es, auf diesen positiven Erfahrungen aufzubauen, statt leichtsinnig und völlig unüberlegt soziale Unruhen heraufzubeschwören.
Der soziale Frieden ist ein kostbares Gut. Auch für den Wirtschaftsstandort Luxemburg! Den sozialen Frieden gibt es durchaus – allerdings nicht zum Nulltarif!
Steve Heiliger, CGFP-Generalsekretär